Vergleichbare Geburtenrate bei ausreichenden Spermien-Parametern nach einer IVF-Therapie mit oder ohne ICSI
Bei der konventionellen In vitro-Fertilisations (IVF)-Therapie, welche erstmals 1978 zur Geburt eines Kindes führte, dringen die Spermien zur Befruchtung selbständig in die Eizelle ein. Erst seit 1992 ist es möglich, auch Paaren mit einem hochgradig eingeschränkten Spermiogramm den Kinderwunsch zu erfüllen, indem die Eizelle durch die mikroskopisch gesteuerte Injektion eines einzelnen Spermiums (ICSI) befruchtet wird. Schon in früheren - meist retrospektiven - Studien war allerdings gezeigt worden, dass die ICSI-Methode gegenüber der IVF bei in Zahl und Qualität ausreichenden Spermienparametern keinen zusätzlichen Vorteil bietet.
Eine ähnliche Fragestellung wird in einer aktuell publizierten Studie (Berntsen et al. IVF versus ICSI in patients without severe male factor infertility: a randomized clinical trial. Nat. Med. 2025; Apr 11: Online ahead of print) untersucht. Dabei wurden in einer randomisiert-kontrollierten Studie zwischen 2019-2022 in dänischen Kinderwunschzentren alleinstehende Frauen oder Paare im ersten Therapiezyklus behandelt. Eine der Voraussetzungen waren mindestens zwei Millionen progressiv beweglicher Spermien nach Dichtegradienten-Zentrifugation beim Partner oder die Verwendung von Spendersamen. Zum Ende der Auswertung in 2023 hatten 197 von 414 Patientinnen (43,2%) in der ICSI- und 193 von 408 Patientinnen (47,3%) in der c-IVF-Gruppe (conventional IVF = c-IVF) ein Kind geboren (Relatives Risiko [RR] 0,91; Konfidenzintervall [KI] = 0,79-1,06). Neben dieser kumulativen Lebendgeburtenrate unter Verwendung auch zuvor kryokonservierter Embryonen bekamen 110 von 414 (26,6%) Frauen in der ICSI- und 129 von 408 (31,6%) Frauen in der c-IVF-Gruppe bereits nach dem ersten Embryotransfer ein Kind. Die Fertilisationsrate (Anzahl der Vorkernzellen pro gewonnener Eizellen) war mit 53,5% vs. 58,1% in der ICSI- gegenüber der cIVF-Gruppe signifikant niedriger (< 0,001). Eine ausbleibende Befruchtung trat bei 20 Fällen (4,8%) in der ICSI-versus 15 (3,7%) in der c-IVF-Gruppe auf (RR 1,29; 95%-KI 0,68-2,54). Weiterhin zeigten sich in dieser Studie keine Unterschiede im geburtshilflichen und perinatalen Outcome der Schwangerschaften.
Weltweit wird in den vergangenen Jahrzehnten die ICSI-Therapie überproportional häufiger im Verhältnis zum unveränderten Vorliegen einer hochgradigen andrologischen Subfertilität als Indikation für die assistierte Reproduktion durchgeführt. Die vorliegende Studie bestätigt uns in der Vorgehensweise unseres Zentrums, auch die konventionelle IVF-Therapie weiterhin erfolgreich durchzuführen. Die ICSI-Therapie ist gemäß dem grundsätzlichen Prinzip einer möglichst geringen Invasivität bei der Auswahl medizinischer Therapien bei Patientinnen oder Paaren mit einem hochgradig eingeschränkten Spermiogramm oder aber der Verwendung zuvor unbefruchtet eingefrorener Eizellen indiziert.
Prof. Dr. med. Barbara Sonntag