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Kinderwunsch - Experte aus Hamburg erklärt Chancen und Grenzen von Social Freezing

www.abendblatt.de/hamburg/politik/article409278039/kinderwunsch-warum-sogar-frauen-aus-den-usa-nach-hamburg-kommen-02.html

Miriam Opresnik
24.07.2025

 

Hamburg. Social Freezing: Wenn ein Partner für den Kinderwunsch fehlt, hilft dieser Experte aus Hamburg. Was Frauen unbedingt wissen sollten.

  • Bis zu 4000 Euro kostet die Stimulation und Entnahme pro Zyklus.
  • Um die Chance auf ein Baby zu erhöhen, sollten 15 bis 20 Eizellen eingefroren werden.
  • Wie große die Erfolgsaussichten sind.

An seine erste Patientin kann er sich noch genau erinnern. Eine 37-jährige Frau, seit acht Jahren glücklich verheiratet und mit großem Kinderwunsch. „Als sich plötzlich ihr Mann trennte, brach für die Frau eine Welt zusammen. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, rechtzeitig einen Mann kennenzulernen, um mit diesem Kinder zu bekommen. Daher wollte sie ‚vorsorgen'", erinnert sich Professor Frank Nawroth an das erste Gespräch mit der Patientin in der Kinderwunschklinik Amedes in Hamburg.

Im Januar 2012 war das und das Thema Social Freezing - also das vorsorgliche Einfrieren von unbefruchteten Eizellen ohne medizinischen Grund - hierzulande noch recht unbekannt und kaum verbreitet. Erst zwei Jahre später lösten Firmen wie Apple und Facebook weltweit Diskussionen aus, weil sie ihren Mitarbeiterinnen 20.000 Dollar erstatteten, wenn sich diese Eizellen einfrieren ließen, um ihren Kinderwunsch zugunsten der Karriere hinauszuzögern.

 

Social Freezing: 37-Jährige lässt sich Eizellen einfrieren - und verwirft sie dann

„Daher war das Thema in den ersten Jahren alles andere als positiv besetzt", erinnert sich Professor Frank Nawroth. Er ist einer der führenden Experten auf diesem Gebiet und behandelt sogar Patientinnen aus den USA.

Ursprünglich war die Eizell-Konservierung unter dem Namen Medical Freezing für junge, krebskranke Frauen vor einer Operation an den Eierstöcken, einer Chemo-oder Bestrahlungstherapie gedacht, um die Fruchtbarkeit zu erhalten. Doch angesichts des gesellschaftlichen Wandels nutzen inzwischen immer mehr Frauen die Methode aus „sozialen Gründen" - zum Beispiel aus beruflichen oder privaten Gründen, weil sie keinen Partner haben.

 

Mediziner klärt eindringlich über Grenzen der Methode auf

Laut dem Deutschen IVF-Register (In-vitro-Fertilisation) hat sich die Zahl der Patientinnen verdoppelt: Während sich im Jahr 2020 etwa 1210 Frauen Eizellen entnehmen und einfrieren ließen, waren es nur drei Jahre später bereits 2755 Frauen.
 

Professor Frank Nawroth von der Amedes Kinderwunschklinik in Hamburg ist ein Befürworter der Methode, klärt seine Patientinnen aber auch eindringlich über die Grenzen auf. „Grundsätzlich gilt: Je jünger die Patientin ist, desto besser ist die Eizellqualität und damit später die Chance auf ein Baby", so der Experte, der sogar ein Buch über das Thema geschrieben hat. Der Titel: „Social Freezing. Kryokonservierung unbefruchteter Eizellen aus nicht-medizinischen Indikationen".

 

Social Freezing: Warum es besser wäre, wenn sich die Frauen zehn Jahre früher dafür entscheiden würden

„Auch wenn es offiziell keine Altersgrenze gibt: Wir bieten diese Methode bei uns im Zentrum nur für Patientinnen bis maximal 39 Jahre an", sagt Nawroth. Die meisten seiner Patientinnen sind zwischen 35 und 38 Jahren alt. „Rein medizinisch betrachtet ist das 10 Jahre zu spät, denn die Qualität einer Eizelle, also das darin enthaltene Erbmaterial, nimmt mit zunehmendem Alter ab.”
 

Ein weiteres Problem: „Bei einer jungen Patientin in den 20ern reicht häufig schon eine hormonelle Stimulation, um etwa 15 bis 20 Eizellen zu gewinnen. Bei älteren Frauen benötigt man oft drei, vier oder fünf Zyklen, um das gleiche Ergebnis zu erzielen", sagt Nawroth.

 

Stimulation, Entnahme und Einfrieren von Eizellen kosten pro Zyklus etwa 4000 Euro

Rund 4000 Euro kosten die Stimulation, die Entnahme sowie das Einfrieren von Eizellen insgesamt pro Zyklus. Hinzu kommen etwa 350 bis 400 Euro jährlich für die Lagerung.
Die Krankenkassen übernehmen das nicht. Auch wenn die Kosten schnell in die Zehntausende gehen können - in Deutschland ist das Verfahren immer noch weitaus günstiger als beispielsweise in den USA, wo bereits für das Erstgespräch und die Diagnostik oft Summen im fünfstelligen Bereich verlangt werden. Aus diesem Grund kommen auch immer wieder Amerikanerinnen zu Nawroth ins Kinderwunschzentrum.

Wie der Ablauf des Procederes ist und wie hoch die Chancen sind, dass aus einer entnommenen Eizelle ein Baby entsteht, das erklärt der Experte:

  • Die Vorbereitung: In einem Erstgesprächwird die Patientin genau über die Möglichkeiten und Grenzen aufgeklärt. Diese Beratung bezahlt noch die Krankenkasse, danach übernimmt sie in der Regel keine weiteren Kosten. Anhand der Blutwerte kann man im Vorfeld einschätzen, wie viele Zellen in etwa pro Stimulationszyklus gebildet werden. 10 Zellen sind das Minimum, die eingefroren werden sollten. Noch besser waren 15 oder mehr Zellen. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit auf eine Schwangerschaft erhöht. Je älter die Frau ist, umso mehr Stimulationen benötigt man in der Regel.
  • Die Stimulation: Sollte sich die Frau für ein Social Freezing entscheiden, werden zunächst die Eierstöcke zur Produktion von Eizellen angeregt. Dafür spritzt sich die Patientin für etwa 10 Tage täglich Hormone mittels eines Pens, der an einen Kugelschreiber erinnert. Während dieser Zeit geht sie ein- bis zweimal zum Ultraschall, um das Wachstum zu kontrollieren.
  • Die Entnahme: Sobald die Eibläschen, genannt Follikel, groß genug sind, werden die Eizellen in einer kurzen Narkose mit einer dünnen Nadel (durch die Scheide) entnommen. Der Eingriff dauert in der Regel etwa 5-10 Minuten. Etwa 1,5 bis zwei Stunden nach dem Eingriff kann die Patientin die Praxis wieder verlassen.
  • Die Lagerung: Die reifen Eizellen werden anschließend im Labor eingefroren (Kryokonservierung) und gelagert. Der Zeitraum der Lagerung spielt nach heutigem Kenntnisstand keine Rolle. Sollte es später zu einem Kinderwunsch kommen, werden die Zellen aufgetaut, befruchtet und in die Gebärmutter eingesetzt.
  • Die Chancen: Die Überlebensrate der eingefrorenen Eizellen beim späteren Auftauen liegt in der Regel zwischen 80 und 90 Prozent. Konkret bedeutet das:
    Wenn man zehn Zellen einfriert, hat man - statistisch gesehen - nach dem Auftauen eine Überlebenswahrscheinlichkeit von acht oder neun Zellen. Von diesen lassen sich durchschnittlich etwa 60 Prozent, also etwa vier bis fünf, durch eine künstliche Befruchtung (ICSI) befruchten. Das heißt: Von zehn entnommenen Zellen, sind letztendlich durchschnittlich vier bis fünf erfolgreich befruchtet worden.
    Transferiert man dann diese befruchteten Eizellen (aber nicht alle auf einmal!) in die Gebärmutter, wächst leider nicht jede an. Die Wahrscheinlichkeit für eine sogenannte Einnistung je aufgetauter Eizelle ist stark vom Alter einer Frau zum Zeitpunkt des Einfrierens abhängig. Die Chance für den Eintritt einer Schwangerschaft liegt am Ende je aufgetauter Eizelle durchschnittlich bei etwa acht bis neun Prozent.
  • Risiken und Folgen: Die Geburtenrate von kryokonservierten und frischen Eizellen mit anschließender In-vitro-Fertilisation ist vergleichbar. Laut einer Studie mit über 900 Kindern weisen Babys, die aus kryokonservierten Eizellen geboren wurden, im Vergleich zu natürlich empfangenen keine erhöhte Rate von Fehlbildungen oder geistigen Behinderungen auf.

 

Kinderwunsch: Bisher nutzen viele Patientinnen Social Freezing nur prophylaktisch

Bisher nutzen die meisten Patientinnen das Verfahren laut Nawroth nur „prophylaktisch" - das heißt, sie lassen die Eizellen zwar einfrieren, aber nur selten auftauen und befruchten. Die sogenannte Abrufrate liegt nur bei etwa zehn bis 15 Prozent. „Für viele Patientinnen ist das eine Art Back-up", sagt Nawroth.
 

So war es auch bei seiner ersten Social-Freezing-Patientin: Sie lernte nach dem Eingriff einen Mann kennen, bekam mit ihm auf natürlichem Weg zwei Kinder und ließ ihre eingefrorenen Zellen verwerfen.